Kantharos-Übersetzungen

Diese Übersetzungen sind nur Musterübersetzungen. Es gibt immer auch andere Möglichkeiten, die Texte wiederzugeben. Achte vor allem darauf, dass dir Konstruktion und Sinn klar sind, und versuche dann, die Texte in gutes, idiomatisches Deutsch zu übertragen.

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L 1: Vom Wesen der Welt

Der Philosoph Thales, einer der Sieben Weisen, sagt etwa Folgendes über den Kosmos:
Der Kosmos hat einen Verstand, so wie auch die Menschen einen Verstand haben. Der Verstand des Kosmos aber ist ein Gott.
Anaximander sagt, dass es im Unbegrenzten viele Kosmen und viele Himmel gebe.
Und die Himmel hält Anaximander für Götter.

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L 2: Die Welt - ein Organismus

Chrysippos, Apollodoros und Poseidonios sagen, dass der Kosmos ein Lebewesen sei und eine Seele habe. Alle Lebewesen nämlich hätten Seelen, auch die Pflanzen.

Die Argumentation der Stoiker lautet:

Ein Lebewesen ist mächtiger als ein Nicht-Lebewesen.
Nichts aber ist mächtiger als der Kosmos.
Also ist der Kosmos ein Lebewesen.

Und die Seelen der Menschen kommen aus der Seele des Kosmos. Aber auch die Sterne, die Sonne und der Mond haben Seelen.

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L 3: Ein Begriff wird zerlegt

Viele Philosophen, vor allem aber die Stoiker, sagen, von den guten Dingen seien die einen Tugenden, die anderen nicht.
Sie glauben nämlich, dass Besonnenheit, Gerechtigkeit, Großmut, Körperkraft und Seelenstärke Tugenden seien, Freude und Frohsinn aber und ähnliche gute Dinge keine Tugenden;
und von den Tugenden (wiederum) seien die einen Wissen und Können, die anderen nicht.
Besonnenheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit nun sind den Stoikern zufolge Wissen und Können, Großmut und Kraft dagegen weder Wissen noch Können.

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L 4: Erzieher gesucht

König Antigonos grüßt den Philosophen Zenon.
Ich glaube dir zwar an Glück und Ruhm überlegen zu sein, an Verstand und Bildung jedoch unterlegen, und auch an dem vollendeten Glück, das du besitzt.
Darum schreibe ich dir, dass du zu mir kommen möchtest; ich hoffe nämlich, dass du nicht widersprichst. Denn jetzt erziehst du (nur) wenige Menschen, in Makedonien aber würdest du viele erziehen. Komm zu uns - erziehe den König und führe ihn zur Tugend. So bereitest du auch im Volk den Boden für seelische Stärke.

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L 5: Die in sich ruhende Persönlichkeit

Der Weise lässt sich weder von irgendjemand zwingen noch zwingt er jemand, weder lässt er sich hindern noch hindert er jemand, er lässt sich weder von irgendwem Gewalt antun noch übt er selbst Gewalt aus, weder herrscht er noch lässt er sich beherrschen. Denn die Weisen handeln weder schlecht noch geraten sie in Schlechtes hinein, weder lassen sie sich Schaden zufügen noch fügen sie selbst Schaden zu.
Und nur unter den Weisen gibt es Freundschaft, unter den Schlechten dagegen ist es unmöglich, dass Freundschaft entsteht. Denn die guten Dinge sind den Weisen gemein, die schlechten den schlechten Menschen.

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L 6: Die Göttin Areté stellt sich vor

Ich verkehre mit Göttern, aber auch mit den guten Menschen. Kein gutes Werk, weder ein göttliches noch ein menschliches, entsteht ohne mich. Ich werde sowohl bei Göttern wie bei Menschen geehrt als tüchtige Helferin bei den Mühen der Friedenszeiten, als zuverlässige Bundesgenossin bei den Kriegswerken und als beste Gefährtin in der Freundschaft.
Und die jungen Leute freuen sich über das Lob der Älteren, die Älteren aber sind stolz auf die Ehrerweisungen der Jungen. Durch mich sind sie den Göttern lieb, geliebt von ihren Freunden, geehrt beim Volk. Und nach dem Lebensende liegen sie nicht ehrlos in Vergessenheit, sondern werden für alle Zeit in der Erinnerung gepriesen.

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L 7: Liebeskummer im Winter

Weder führte man (irgendjemand) eine Herde auf die Weide noch ging man (er) selbst vor die Tür, sondern die einen spannen Flachs, die anderen klügelten Vogelnetze aus.
Die anderen Bauern und Ziegenhirten freuten sich, weil sie für kurze Zeit von den Strapazen befreit wurden. Chloe und Daphnis aber erinnerten sich, wie sie sich geküsst hatten, wie sie sich umarmt hatten, wie sie zusammen gegessen hatten. Traurige Nächte verbrachten sie und erwarteten die Frühlingszeit wie eine Wiederauferstehung vom Tod. Und Kummer bereitete ihnen ein Ranzen, aus dem sie zusammen gegessen, oder ein Melkeimer, aus dem sie zusammen getrunken hatten. Und sie beteten zu den Nymphen, sie möchten sie aus dem Unglück erlösen und sie einst wieder die Sonne sehen lassen.

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L 8: Ein 'Bauernfresser'

Zuerst nun tat die Menge andere Dinge. Einige redeten mit der Menge, die einen mit wenigen, die anderen mit vielen Worten. Und den einen hörten sie lange Zeit zu, über die anderen ärgerten sie sich und ließen sie nicht einen Mucks von sich geben.
Als aber Ruhe einkehrte, führten sie auch mich vor. Und einer sagte:
'Dieser Mensch hier zieht schon viele Jahre Nutzen aus dem öffentlichen Land; denn er besitzt Häuser, Weinstöcke und viele andere Güter. Und ich habe erfahren, dass die Anführer zwei sind. Sie teilen also beinahe das ganze Land in den Bergen unter sich auf. Ich glaube ja, dass sich diese Menschen nicht einmal von den Strandgütern fernhalten. Denn woher (wohl) haben sie sich so viele Äcker oder besser ganze Dörfer verschafft? Und ihr schaut vielleicht auf sein armseliges Gewand. Das dient aber (nur) der Tarnung, wie es aussieht.'
Als er seine Rede beendete, war die Menge in Zorn; ich aber wusste mir keinen Rat, weil sie mir etwas Böses antun wollten.

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L 9: Lob des Agesilaos

Was ist der Lobreden würdiger als die glänzendsten Siege und die ruhmreichsten Taten? Agesilaos nämlich verehrte das Göttliche so sehr, dass sogar seine Feinde seine Eide für verlässlicher hielten als die Freundschaft mit den eigenen Leuten. Von seinen Freunden schätzte er nicht die mächtigsten, sondern die eifrigsten am meisten. Er machte gern die Gerechten reicher, denn er wollte, dass Gerechtigkeit sich mehr lohne als Ungerechtigkeit.
Und zu seinen Freunden war er sehr milde, seinen Feinden gegenüber dagegen wahrhaft furchterregend. Die Hochmütigen verachtete er, war aber (selbst) bescheidener als die Maßvollen.

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L 10: Staatliche 'Wachhunde'

Sokrates: Wir wollen jetzt betrachten, wie ein Wächter sein muss und was die Aufgabe der Wächter ist.
Den eigenen Leuten gegenüber müssen die Wächter freundlich sein, den Feinden gegenüber dagegen unangenehm. Auf andere Weise gibt es keinen guten Wächter.
Glaukon: Wir können also mit den Wächtern die Hunde vergleichen; denn auch von den Hunden sind die edlen ganz freundlich zu ihren Bekannten, gegenüber denen, die sie nicht kennen, aber das Gegenteil.
Sokrates: Ganz genau. Und es ist dem Wächter nicht gestattet, sich zu betrinken, so dass er nicht mehr weiss, wo oben und unten ist ('wo auf der Erde er ist').
Glaukon: Es wäre ja auch lächerlich, wenn ausgerechnet der Wächter einen Wächter bräuchte.

Aus einem Brief Platons:

Für vernünftige Menschen ist das Gesetz Gott, für unvernünftige das Vergnügen.

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L 11: Warnung

Meine Leiden sind mir Lehren.
Wenn du glaubst, unsterblich zu sein und ein unsterbliches Heer zu befehligen, dann ist es überflüssig, dass ich dir meine Meinung sage;
wenn du aber erkannt hast, dass sowohl du (nur) ein Mensch bist als auch über andere ebensolche herrschst, dann begreife zuerst dies, dass es einen Kreislauf des menschlichen Schicksals gibt, der nicht zulässt, dass immer dieselben Glück haben.
Ich habe deshalb in der vorliegenden Sache eine völlig andere Meinung als die Perserfürsten.

Wissen ist Macht

Kümmere dich lieber um Wissen als um Besitz,
denn Wissen schafft Besitz herbei.

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L 12: Die Erziehung des jüngeren Kyros

Kyros war wahrhaft königlich und würdig zu regieren, wie von allen übereinstimmend gesagt wird. Zuerst nämlich, als er (noch) ein Kind war und mit seinem Bruder und den anderen Kindern erzogen wurde, galt er als der Tüchtigste von allen in allen Dingen. Alle Kinder der adligen Perser nämlich werden am Königshof erzogen; dort lernen sie strenge Selbstdisziplin. Die Kinder sehen und hören nämlich, wie einige vom König geehrt und andere herabgewürdigt werden, so dass sie von klein auf lernen, zu herrschen und sich beherrschen zu lassen.
Damals schien Kyros allen der größte Pferdenarr zu sein. Als er alt genug war (als es seinem Alter entsprach), liebte er auch die Jagd sehr und war den wilden Tieren gegenüber äußerst draufgängerisch. Und als einmal eine Bärin auf ihn losstürmte, hatte er keine Angst vor ihr, sondern tötete sie. Den ersten aber, der ihm zu Hilfe kam, belohnte er reichlich (erwies ihm großen Dank).

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L 13: Ausgeliefert

Mit dir ist jeder Weg gangbar, jeder Fluss überquerbar, und an Lebensmitteln herrscht kein Mangel;
ohne dich aber führt der ganze Weg durch Finsternis, denn wir wissen nichts von ihm; jeder Fluss ist undurchquerbar, jede Menschenmenge furchterregend, am schrecklichsten aber ist die Einsamkeit - denn sie ist erfüllt von großem Mangel.

Glück und Glas

Das Glück ist freigebig, aber unzuverlässig.

Dienst am Staat

Königswürde ist ruhmreicher Sklavendienst.

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L 14: Tischsitten bei den Kelten

Poseidonios von der Stoa sagt in seinen Forschungen, indem er viele Sitten und Gebräuche bei vielen (Völkern) aufschreibt:
'Die Kelten servieren ihre Nahrung, indem sie Gras darunterlegen, auf hölzernen Tischen, die ein wenig vom Boden erhöht sind. Die Nahrung besteht aus wenig Brot, dafür viel Fleisch. Sie führen es zu Munde wie die Löwen, indem sie ganze Fleischstücke mit den Händen hochheben und abbeißen und schwer abzubeißende Stücke mit einem Messer zurechtschneiden.
Sie sitzen im Kreis, in der Mitte der Stärkste, der sich vor den anderen sei es durch seine Tapferkeit im Krieg, sei es durch Reichtum auszeichnet.'

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L 15: Männliche und weibliche Tugend

Sokrates: Scheint es dir nur mit der Tüchtigkeit so bestellt zu sein, Menon, oder auch mit der Gesundheit, der Stärke und den anderen Dingen? Scheint dir die Gesundheit des Mannes eine zu sein und eine andere die der Frau, oder ein- und dasselbe, ob bei einem Mann oder einer Frau?
Menon: Die Gesundheit des Mannes und der Frau scheint mir dieselbe zu sein.
Sokrates: Die Tugend aber ist in irgendetwas unterschiedlich, sei es bei einem Kind oder einem Älteren, bei einer Frau oder bei einem Mann?
Menon: Mir zumindest, Sokrates, scheint das nicht mehr genauso zu sein wie bei den anderen Dingen.
Sokrates: Worin denn? Sagtest du nicht, dass es eine männliche Stärke ist, eine Stadt gut zu verwalten, und eine weibliche, ein Haus gut zu versorgen?
Menon: Ja, das sagte ich.
Sokrates: Ist es denn Männern oder Frauen möglich, eine Stadt oder ein Haus oder etwas anderes gut zu verwalten, wenn nicht besonnen und gerecht?
Menon: Natürlich nicht.
Sokrates: Wenn sie gerecht und besonnen verwalten, verwalten sie dann nicht mit Gerechtigkeit und Besonnenheit?
Menon: Zwangsläufig.
Sokrates: Beide brauchen also dasselbe, wenn sie tüchtig sein wollen, sowohl die Frau als auch der Mann, nämlich Gerechtigkeit und Besonnenheit.
Menon: So scheint es.
Sokrates: Alle Menschen sind also auf dieselbe Weise tüchtig.

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L 16: Sophistische 'Technik'

Denn auch der Großhändler und der Krämer wissen weder selbst von ihren Waren, was nützlich oder schädlich für den Körper ist, - preisen aber alles beim Verkaufen an -, noch wissen es die Käufer.
So preisen auch die, die ihr Wissen zu Markte tragen und jedem beliebigen Interessenten zu verkaufen versuchen, alles an, was sie feilbieten, wissen aber nicht, was nützlich oder schädlich für die Seele ist; und ebensowenig wissen es die Käufer. Wenn du nun glaubst, Bescheid zu wissen, was nützlich oder schädlich ist, dann ist es für dich ohne Risiko, sowohl von Protagoras als auch von einem anderen Wissen zu kaufen. Prüfe also gut, ob du mit Protagoras Umgang pflegen solltest oder nicht.

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L 17: Protagoras in Athen

Sokrates: Und wie ich so versuchte, Hippokrates auf den Zahn zu fühlen, prüfte ich ihn gründlich und fragte ihn: 'Du hast jetzt vor, Protagoras regelmäßig zu besuchen und ihm Geld dafür zu bezahlen - warum?'
Hippokrates: Protagoras macht (seine Schüler) fähig zu reden, indem er (sie) lehrt, die Rhetorik gut zu gebrauchen.
...
Protagoras: Eine gute Frage stellst du da, Sokrates, und ich antworte gern Leuten, die gute Fragen stellen. Die anderen Philosophen schaden den jungen Leuten, indem sie sie Rechnen, Astronomie, Geometrie und Musik lehren; bei mir aber erlernt Hippokrates die Fähigkeit, in privaten und politischen Dingen richtige Entscheidungen zu treffen.
Sokrates: Ich verstehe. Du scheinst mir nämlich die (Kunst der) Politik zu meinen und zu versprechen, Männer zu tüchtigen Bürgern zu machen.
Protagoras: Genau das ist das Angebot, das ich mache.

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L 18: Überfall an der Quelle

Dorkon dachte sich eine List aus, wie es für einem Hirten typisch ist. Er hatte nämlich beobachtet, dass einmal Daphnis, einmal das Mädchen die Herden zur Tränke führte. Er spannte sich das Fell eines großen Wolfes, den ein Stier einmal bei der Verteidigung der Rinder getötet hatte, um den Körper, und als wildes Tier verkleidet, so gut er konnte, versteckte er sich bei der Quelle, aus der die Ziegen und Schafe zu trinken pflegten. Nun erwartete Dorkon aufmerksam die Stunde der Tränkung.
Kurze Zeit verging, und Chloe trieb die Herden zur Quelle. Und die Hunde begannen zu bellen und stürzten auf Dorkon los wie auf einen Wolf; und sie bissen in das Fell, bevor er aufspringen konnte. Eine Zeitlang nun blieb Dorkon in seinem Hinterhalt liegen, weil er fürchtete, ertappt zu werden, und weil er durch das Fell geschützt war; als aber Chloe den Daphnis zu Hilfe rief und die Hunde, das Fell ringsum vom Körper wegreißend, Dorkon packten, da jammerte er laut auf und flehte das Mädchen und Daphnis an, (ihm) zu helfen. Sie riefen die Hunde zurück und beruhigten sie schnell, den Dorkon aber wuschen sie in der Quelle ab. Und weil sie das Anlegen des Fells für einen (harmlosen) Hirtenscherz hielten, trösteten sie ihn und ließen ihn laufen.

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L 19: Diogenes und der 200-m-Läufer

Als Diogenes sah, wie ein Mann mit vielen Kameraden aus dem Stadion kam und nicht einmal auf der Erde schritt, sondern von der Menge getragen wurde, und wie die einen (ihm) nachliefen und schrieen, andere aber vor Freude umhersprangen und die Hände zum Himmel erhoben und wieder andere dem Mann Kränze zuwarfen, fragte er, was das für ein Lärm sei und was geschehen sei.
Der Mann antwortete: 'Wir haben im Lauf über das Stadion der Männer gesiegt, Diogenes!'
'Na und?' sagte Diogenes. 'Du bist ja wohl nicht klüger geworden, auch nicht ein bisschen, weil du deine Mitstreiter überholt hast, und auch nicht besonnener als vorher.'

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L 20: Zwei Charaktere

Der Beschränkte nimmt etwas und legt es selbst weg, und dann sucht er es und kann es nicht finden.
Und nach der Theateraufführung (nachdem er im Theater zugeschaut hat,) bleibt er als einziger schlafend zurück.
Und er zwingt seine Kinder zu ringen und zu laufen und erschöpft sie damit völlig.
Und auf dem Feld, wenn er den Kindern Linsenbrei kocht, wirft er zweimal Salz in den Topf und macht ihn (den Brei) damit ungenießbar.
Und wenn er reichlich gespeist hat, dann beißt ihn, wenn er nachts aufs Örtchen läuft und sich verirrt, des Nachbars Hündin.

Wenn der Feigling ins Feld zieht, sagt er, es sei schwierig zu erkennen, welche die Feinde seien.
Und wenn er Geschrei hört und Männer fallen sieht, sagt er den Anwesenden, er habe in seinem Eifer sein Schwert vergessen, und läuft zum Zelt; und nachdem er seinen Diener hinausgeschickt und ihm aufgetragen hat, Ausschau zu halten, wo die Feinde seien, versteckt er das Schwert unter dem Kopfkissen und verbringt dann lange Zeit damit, so zu tun, als suche er im Zelt herum.

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L 21: Wär's dir anders lieber?

Als Sokrates mit seinen Freunden sprach, sagte ein gewisser Apollodoros, der dabei war und der ihn sehr bewunderte:
'Ich für meinen Teil kann es nur sehr schwer ertragen, Sokrates, zu sehen, wie du zu Unrecht stirbst (hingerichtet wirst).'
Sokrates aber streichelte ihm sanft das Haupt und fragte ihn: 'Willst du mich lieber zu Recht oder zu Unrecht sterben sehen?' Und zugleich lachte er ruhig.

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L 22: Falsch gefragt

Im Heer war auch ein gewisser Xenophon aus Athen, der weder als Feldherr noch als Offizier noch als Soldat mitzog. Vielmehr hatte Proxenos, ein alter Gastfreund, ihn von zu Hause kommen lassen. Er hatte versprochen, ihn dem Kyros zum Freund zu machen, der ihm wichtiger war als seine Heimat.
Xenophon beriet sich allerdings mit dem Athener Sokrates über die Reise. Und Sokrates riet ihm, den Gott in Delphi wegen der Reise zu befragen.
Xenophon fragte Apollon, welchem Gott er opfern und zu welchem er beten sollte, um den Weg, den er plante, am besten zu gehen und erfolgreich und wohlbehalten heimzukehren. Und Apoll weissagte ihm die Götter, denen er opfern müsste.
Bei seiner Rückkehr berichtete er Sokrates von dem Orakelspruch. Als der es hörte, warf er ihm vor, warum er nicht zuerst gefragt habe, ob es (überhaupt) besser für ihn wäre zu reisen oder daheim zu bleiben, und vielmehr eigenmächtig entschieden habe zu reisen. 'Da du aber nun einmal so gefragt hast,' sagte er, 'musst du alles tun, was der Gott dir aufgetragen hat.'

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L 23: Der Nordwind als Ehrenbürger

Als Dionysios noch ein junger Mann war, segelte er gegen die Thurier (oder gegen Thurioi), und er führte 400 Schiffe gegen sie, vollbesetzt mit Schwerbewaffneten. Aber der Nordwind blies ihm entgegen, zerschmetterte die Schiffe und vernichtete seine Seemacht.
Seither opfern die Thurier dem Nordwind. Und sie ernannten in einer Abstimmung den Nordwind zum Bürger und wiesen ihm ein Haus und ein Grundstück zu, und jedes Jahr veranstalten sie für ihn ein Festmahl.
In ähnlicher Weise betrachten die Athener den Nordwind als Beschützer und Wohltäter, und die Bewohner von Megalopolis nennen ihn auf einer Inschrift Wohltäter.

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L 24: Peison der Schuft

Die Männer, die die Dreißig geschickt hatten, teilten die Häuser unter sich auf und gingen los. Auch mich trafen sie an, als ich gerade Gäste bewirtete, warfen diese hinaus und übergaben mich sodann dem Peison. Die anderen gingen in die Werkstatt und schrieben die Sklaven auf.
Ich fragte Peison, ob er mich verschonen wolle, wenn er Geld bekäme.
Er bejahte: Wenn es genug sei.
Ich sagte also, dass ich bereit sei, ein Talent Silber zu bezahlen, und er stimmte zu.
Jetzt war mir klar, dass er sich weder um Götter noch um Menschen scherte. Dennoch schien es mir absolut notwendig zu sein, eine verbindliche Zusage von ihm zu erhalten.
Als er versprach, mich zu verschonen, wenn er das Talent bekäme, ging ich ins Schlafzimmer und öffnete die Truhe.
Peison aber bemerkte das und kam herein, und als er den Inhalt erblickte, rief er zwei von den Sklaven und befahl ihnen, das, was in der Truhe war, zu nehmen. Es waren drei Talente und noch vieles andere.
Ich bat ihn, mir Geld für die Reise zu lassen. Er aber sagte: 'Sei froh, wenn du mit heiler Haut davonkommst.'

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L 25: Sophokles: Antigone

Kreon lässt den im Zweikampf gegen seinen Bruder gefallenen Polyneikes unbestattet vor die Stadttore werfen und durch einen öffentlichen Ausruf verbieten, ihn zu bestatten, wobei er dem, der ihn bestatten würde, wer es auch sei, den Tod androht. Antigone, seine (Polyneikes') Schwester, versucht ihn zu bestatten. Und so wirft sie Staub auf ihn, unbemerkt von den Wächtern. Diesen droht Kreon den Tod an, wenn sie nicht denjenigen ausfindig machen, der das getan hat. Sie entfernen den Staub und sind nun erst recht wachsam.
Antigone kommt hinzu, und als sie den Toten unbedeckt findet, jammert sie auf und verrät sich so. Die Wachen nehmen sie fest und übergeben sie Kreon. Dieser verurteilt sie und lässt sie lebendig in ein Grab werfen.
Daraufhin nimmt sich Haimon, sein Sohn, der mit ihr verlobt war, aus Kummer das Leben. Als das Eurydike, Kreons Frau, hört, bringt sie sich um. Und am Ende beweint Kreon den Tod seines Sohnes und seiner Frau.

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L 26: Ein Verhör

Oidipus: Welcher Aufgabe oder welchem Lebensunterhalt gingst du nach?
Hirte: Die meiste Zeit meines Lebens zog ich den Herden nach.
Oidipus: An welchen Orten lebtest du zumeist?
Hirte: Teils war es der Kithairon, teils ein benachbarter Ort.
Oidipus: Kennst du den Mann hier, hast du ihn dort kennengelernt?
Hirte: Bei welcher Tätigkeit? Und welchen Mann meinst du (überhaupt)?
Oidipus: Diesen hier, der da steht.
...
Oidipus: Woher bekamst du es? War es ein eigenes oder das eines anderen?
Hirte: Nicht mein eigenes, ich bekam es von jemandem.
Oidipus: Von welchem dieser Bürger und aus welchem Haus?
Hirte: Bei den Göttern, König, forsche nicht weiter!
Oidipus: Du bist verloren, wenn ich dich das noch einmal fragen muss.
Hirte: Nun gut - es war ein Kind des Laios.
Oidipus: Ein Sklave, oder von ihm selbst gezeugt?
Hirte: Oh weh, nun steht mir das (zu sagen) bevor, was schrecklich zu sagen ist.
Oidipus: Und mir zu hören, dennoch muss ich hören.
Hirte: Es wurde sein eigenes Kind genannt; doch die dort drinnen,
deine Frau, kann wohl am besten sagen, wie es sich verhält.
Oidipus: So hat sie es dir gegeben?
Hirte: Ja, mein Herr.
Oidipus: Zu welchem Zweck?
Hirte: Dass ich es töte.
Oidipus: Die Mutter, die Unselige?
Hirte: Ja, aus Angst vor bösen Weissagungen.
Oidipus: Vor welchen?
Hirte: Es hieß, es werde seine Eltern töten.
Oidipus: Und warum hast du es dann diesem Alten hier gegeben?
Hirte: Aus Mitleid, König.

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L 27: Streit unter Göttern

Als seine Mutter starb, wurde Asklepios noch als Kind von Apollon zu Cheiron, dem Kentauren, geschickt, von dem er die Heilkunst lernte.
Und als er ein Arzt geworden war und sich in der Kunst reichlich geübt hatte, verhinderte er nicht nur, dass Menschen starben, sondern erweckte auch die Toten.
Zeus aber wollte nicht, dass die Menschen vom Tod befreit würden, und erschlug ihn mit dem Donnerkeil. Und im Zorn darüber tötete Apoll die Kyklopen, die für Zeus den Donnerkeil geschaffen hatten.
Zeus wollte Apollon nun in den Tartaros werfen.
Doch auf Letos Bitten hin ordnete er an, dass er (stattdessen nur) ein Jahr einem sterblichen Mann dienen solle. Und Apoll kam nach Pherai zu Admetos und verrichtete dort als Hirte Sklavendienst.
Nachdem sich Apoll mit Admetos angefreundet hatte, erbat er von den Moiren, dass dieser vom Tod erlöst werden möge, wenn jemand freiwillig an seiner Stelle stürbe.
Und als der Tag des Sterbens gekommen war und weder sein Vater noch seine Mutter bereit waren, für ihn zu sterben, starb seine Frau Alkestis für ihn. Doch sie wurde von Persephone wieder zurückgeschickt.

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L 28: Schlagfertig

Quod licet Iovi...

Als ein Wolf sah, wie Hirten in einem Zelt ein Schaf aßen, sagte er: 'Wie groß wäre euer Geschrei, wenn ich das täte!'

Verblüffende Ehrlichkeit

Ein Mann aus Kyme verkaufte Honig. Als jemand kam, ihn kostete und sagte, dass er wirklich gut sei, erwiderte er: 'Ja - wenn nicht eine Maus hineingefallen wäre, würde ich ihn ja auch nicht verkaufen.'

Sarkasmus des Diogenes

Als jemand die Weihgeschenke auf Samothrake bestaunte, sagte er: 'Es wären noch viel mehr, wenn auch die Geschenke aufstellen würden, die nicht mit dem Leben davongekommen sind.'

Lieber nicht!

Als seine Freunde ihn tadelten, warum er von einem gewissen Arzt schlecht redete, obwohl er ihn gar nicht kannte und kein Unrecht von ihm erlitten hatte, sagte Pausanias: 'Weil ich nicht mehr leben würde, wenn ich seine Bekanntschaft gemacht hätte.'

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L 29: Modell einer Stadtgründung

Sokrates: Unsere Bedürfnisse werden also die Stadt schaffen.
Adeimantos: Wie auch anders?
Sokrates: Nun ist ja doch das erste und wichtigste der Bedürfnisse die Nahrungsbeschaffung.
Adeimantos: Auf jeden Fall.
Sokrates: Das zweite die Beschaffung einer Unterkunft, das dritte von Kleidung und derlei Dingen.
Adeimantos: So ist es.
Sokrates: Nun denn, wie wird die Stadt einem solchen Versorgungsanspruch gerecht werden? Wird sie nicht viele Bürger brauchen? Der Bauer wird sich ja nicht selber den Pflug und die anderen derartigen Geräte bauen, und ebensowenig der Maurer, oder nicht?
Adeimantos: Es scheint so.
Sokrates: Dachdecker und Schmiede und viele solche Handwerker werden also die kleine Stadt dicht bevökern.
Adeimantos: Ganz bestimmt.
Sokrates: Und die Stadt an einem Ort zu gründen, wo sie keine Importwaren brauchen wird, ist wohl beinahe unmöglich.
Adeimantos: Ja, das ist unmöglich.
Sokrates: Es sind also zusätzlich noch andere nötig, die ihr von anderswoher schicken, was sie braucht.
Adeimantos: Richtig.
Sokrates: Wir werden also auch Kaufleute brauchen, die die jeweiligen Dinge importieren und exportieren.
Adeimantos: Gewiss.
Sokrates: Wir werden also betrachten, auf welche Weise die so Versorgten ihr Leben verbringen werden. Sie werden doch wohl Getreide, Wein und Kleidung herstellen. Und sie werden Häuser bauen und sich ernähren, indem sie aus Gerste Mehl herstellen. Und sie werden feiern und dabei Wein trinken und die Götter preisen, und so werden sie ihr Leben in Frieden und Gesundheit verbringen.

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L 30: Macht vor Recht

Von Natur aus ist es schlimmer, Unrecht zu erleiden, und (nur) der Konvention nach, Unrecht zu tun. Denn das zu erleben - Unrecht zu erleiden - passt nicht zu einen Mann, sondern zu einem Sklaven, für den es besser wäre, tot zu sein, als zu leben, der, wenn man ihm Unrecht tut, nicht imstande ist, sich selbst zu helfen noch irgendeinem anderen.
Ich glaube aber, die breite Masse versucht, die Stärkeren und die, die imstande sind, mehr zu besitzen, unter moralischen Druck zu setzen, und behauptet darum, dass es schändich und ungerecht sei, Besitz anzuhäufen, und unrechtes Handeln bestehe darin, anzustreben, mehr als die anderen zu besitzen. Die Natur selbst allerdings, glaube ich, zeigt deutlich, dass es rechtens ist, dass der Tüchtigere mehr hat als der weniger Tüchtige und der Mächtige mehr als der weniger Mächtige. Sie beweist das an vielen Orten, dass es sich so verhält, sowohl bei den anderen Lebewesen als auch bei den Menschen, dass so das Recht definiert ist: die Stärkeren sollen über die Schwächeren herrschen und mehr besitzen (als sie).
Es scheint mir, dass auch Pindar genau das, was ich sage, in seiner Ode aufzeigt, in der er sagt, dass Herakles die Rinder wegtrieb, ohne sie gekauft zu haben und ohne dass Geryonos sie ihm schenkte, weil das - Pindars Meinung nach - naturgemäß das Gerechte sei, dass sowohl Rinder als auch die anderen Besitztümer der Geringeren und Schwächeren alle dem Besseren und Stärkeren zustehen.

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L 31: Sokrates über sich selbst

Ich aber habe mein ganzes Leben lang niemandem irgendetwas Unrechtes zugestanden, weder irgendwem anders noch einem von denen hier, die sie (meine Ankläger) ja verleumden, indem sie behaupten, sie wären meine Schüler.
Ich bin niemals irgendjemandes Lehrer gewesen; wenn allerdings jemand zuhören wollte, wie ich redete und meinen Privatangelegenheiten nachging, sei er jünger oder älter, habe ich das nie jemandem vorenthalten, und ich unterhalte mich auch nicht (nur), wenn ich Geld bekomme, wenn ich keins bekomme, aber nicht, sondern stehe Reich und Arm gleichermaßen Rede und Antwort. Und ich bin nicht verantwortlich für diese Dinge, zu denen ich niemals irgendwem irgendeine Lehre versprochen noch erteilt habe.

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L 32: Der Reiche

Und als er hinauszog, lief einer zu ihm auf den Weg, fiel auf die Knie und fragte ihn: 'Guter Lehrer, was soll ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?'
Jesus aber antwortete ihm: 'Was nennst du mich gut? Niemand ist gut außer dem einen Gott. Du kennst die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen, du sollst nicht rauben. Ehre deinen Vater und deine Mutter.'
Der andere aber sagte zu ihm: 'Lehrer, all das habe ich von Jugend an beachtet.'
Jesus sah ihn an, gewann ihn lieb und sprach zu ihm: 'Eins fehlt dir: Geh heim, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und dann komm her und folge mir.'
Der andere aber ging voll Kummer über diese Worte davon, denn er besaß viele Reichtümer.

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L 33: Mahnrede

Lasst uns eilen, lasst uns laufen, ihr gottgleichen Abbilder des Logos; lasst uns eilen, lasst uns laufen, lasst uns sein Joch aufnehmen und uns in Unvergänglichkeit kleiden, lasst uns den Christus als den guten Wagenlenker der Menschen lieben.
Lasst uns ehrgeizig nach dem Guten werden und lasst uns die bedeutendsten Besitztümer, Gott und das Leben, erwerben. Ein Helfer ist der Logos: Lasst uns ihm vertrauen, und möge niemals eine so große Begierde nach Silber, Gold und Ruhm uns ergreifen wie nach dem Wort der Wahrheit selbst.

Angst vor der Zukunft

Seid also nicht betrübt und sagt: 'Was sollen wir essen, trinken oder anziehen?' Denn all das suchen die Heiden; unser Vater im Himmel jedoch weiß, was ihr von alledem braucht.

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L 34: Aus den Briefen des Apostels Paulus

1. Leib und Glieder

Es gibt ja viele Glieder, aber nur einen Körper. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: 'Ich brauche dich nicht', oder wiederum der Kopf zu den Füßen: 'Ich brauche euch nicht'. Vielmehr ist es notwendig, dass es die Gliedmaßen gibt, die scheinbar schwächer als der Körper sind. Gott hat den Körper zusammengemischt, damit es keinen Zwiespalt im Körper gebe, sondern damit die Gieder sich in gleicher Weise umeinander kümmern. Und wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit.

2. Die Schwachheit des Menschen

2.1 Ich bin schwach mit den Schwachen geworden, um die Schwachen zu gewinnen.
2.2 Gott erwählte die schwachen Dinge des Kosmos, um die Starken zu beschämen.
2.3 Weil wir schwach waren, ist Christus zur rechten Zeit für die Gottlosen gestorben.

3. Der gekreuzigte Christus

Wir aber verkünden Christus als den Gekreuzigten, für die Juden ein Skandal, für die Heiden Torheit, für die Berufenen selbst aber, Juden wie Griechen, Christus als Gottes Macht und Gottes Weisheit; denn die Torheit Gottes ist weiser als die Menschen, und die Schwäche Gottes ist stärker als die Menschen.

Ü: Das Ende des Königs Pyrrhos

Pyrrhos fiel in Argos ein, nachdem ihn Aristeus, ein Argiver, gerufen hatte. Die Argiver liefen mit ihren Waffen auf der Agora zusammen, ihre Frauen aber, die schon vorher die Dächer besetzt hatten, bewarfen die Feinde von oben und zwangen sie so zum Rückzug. So fiel Pyrrhos, der mächtigste Feldherr, weil ihm ein Ziegel auf den Kopf fiel. Und die Argiverinnen erwarben sich großen Ruhm bei den Griechen, da Pyrrhos, der kriegerischste Mann, nicht von Männer-, sondern von Frauenhand fiel.

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L 35: Die Eroberung von Sardeis

Gleich bei Tagesanbruch zog Kyros gegen Sardeis. Als er an die Mauer (der Burg) in Sardeis kam, ließ er die Kriegsmaschinen und Leitern bereitmachen, um die Mauer anzugreifen.* In der Nacht aber ließ er die Chaldäer und Perser hinaufsteigen, wo die Mauern von Sardeis am steilsten schienen. Es führte sie ein Perser, der Sklave der Wachen in der Burg war und einen Weg zum Fluss hinab und ebendenselben wieder hinauf ausfindig gemacht hatte.
Als es klar wurde, dass die Burg eingenommen war, flohen alle Lyder von den Mauern, wohin in der Stadt ein jeder es vermochte. Kyros aber zog bei Tagesanbruch in die Stadt ein und befahl, dass niemand sich aus der Schlachtreihe rühren solle.

* Denke daran, dass Interpunktion und Akzentuierung auf der Interpretation des Herausgebers beruhen. Die Übersetzung entspricht der Akzentsetzung im Kantharos-Text. Könnte man das Wort προσβαλων auch anders akzentuieren? Wie müsste man den Satz dann übersetzen? Welcher Sinn passt deiner Meinung nach besser?

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L 36: Ein Sophist über das Studium der Philosophie

Die Philosophie, Sokrates, ist wirklich etwas Reizendes, wenn man sich im passenden Alter maßvoll damit befasst. Wenn man sich aber über Gebühr damit beschäftigt, ist sie der Untergang der Menschen. Denn wenn einer jenseits des angemessenen Alters weiterphilosophiert, mag er auch recht begabt sein, wird er zwangsläufig von politischen Dingen keine Ahnung haben.
Wenn er nun in eine private oder öffentliche praktische Angelegenheit gerät, wird er sich lächerlich machen, genauso wie die Politiker sich, wie ich meine, lächerlich machen, wenn sie in eure Gespäche und Reden geraten. Das Wort des Euripides trifft es: 'Jeder glänzt darin, worin er selbst gerade der Beste ist; worin er aber schlecht ist, das meidet er und macht sich darüber lustig.'
Also, ich denke, dass es das einzig Richtige ist, an beidem teilzuhaben. An der Philosophie, soweit es um der Bildung willen gut ist, daran teilzuhaben. Es ist ja auch keine Schande, Philosophie zu betreiben, solange man noch jung ist. Wenn ein Mensch aber im Erwachsenenalter immer noch philosophiert, dann, Sokrates, wird die Sache lachhaft. Denn wenn ich die Philosophie bei einem jungen Mann sehe, dann bewundere ich ihn und denke, dass er ein gebildeter, vornehmer Mann ist, einer, der nicht philosophiert, dagegen ungebildet. Wenn ich aber einen Älteren immer noch philosophieren sehe, dann, Sokrates, scheint dieser Mann mir Prügel zu verdienen. Denn dieser Mensch, auch wenn er begabt genug ist, muss dadurch, dass er die öffentlichen Versammlungen meidet, unmännlich werden.

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L 37: Die Lust und das Gute

Sokrates: Sagst du, dass das Angenehme und das Gute dasselbe sind, oder dass es etwas Angenehmes gibt, das nicht gut ist?
Kallikles: Ich behaupte, es ist dasselbe.
...
Sokrates: Das Gute, mein Freund, ist nicht dasselbe wie das Angenehme und das Schlechte nicht dasselbe wie das Unangenehme. - Es ist also, wie es scheint, doch wohl so, dass von den Freuden die einen gut sind, die anderen schlecht, oder nicht?
Kallikles: Ja.
Sokrates: Die nützlichen sind doch wohl gut, die schädlichen schlecht?
Kallikles: Sicher.
Sokrates: Nützlich sind die, die etwas Gutes bewirken, schlecht die, die etwas Schlechtes bewirken?
Kallikles: Richtig.
Sokrates: Also muss man die nützlichen Freuden wählen, nicht aber die untauglichen?
Kallikles: Offenbar.
Sokrates: Um des Guten willen also muss man das Angenehme und alles Übrige tun, nicht aber das Gute um des Angenehmen willen.

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L 38: Königliche Freigebigkeit

Kyros war es, der den Anfang mit der Freigebigkeit machte, und sie ist den Königen bis heute geblieben. Denn wer hat offenbar reichere Freunde als der Perserkönig? Wer schmückt offensichtlich die Seinigen schöner mit Gewändern als der König? Wessen Geschenke kann man besser erkennen als die des Königs - Armbänder, Ketten und Pferde mit goldenen Zügeln? Diese Dinge darf man dort nämlich nicht besitzen, wenn sie einem nicht der König schenkt.
Und wir haben erfahren, dass der König seine sogenannten 'Augen' und 'Ohren' nicht anders erworben hat als durch Geschenke und Ehrerweisungen. So hat er viele Menschen dazu gebracht, die Ohren offenzuhalten und auszuspionieren, was sie glaubten dem König zu seinem Vorteil melden zu können. Und man fürchtet sich überall, Dinge auszusprechen, die dem König von Nachteil wären, so als hörte er selber zu, und Dinge zu tun, die ihm nachteilig wären, wie wenn er selbst anwesend wäre.

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L 39: Anekdotisches I

1. Charaktervoll

Als der Perserkönig dem Epameinondas 30000 Dareiken schickte, tadelte dieser den Gesandten des Königs, Diomedon, mit scharfen Worten, ob er eine so lange Seereise unternommen habe, um Epameinondas zu bestechen. Und er trug ihm auf, dem König auszurichten, dass dieser, wenn er das Wohl der Thebaner im Sinn habe, Epameinondas umsonst zum Freund haben werde; wenn er aber ihren Nachteil im Sinn habe, zum Feind.


2. Der Goldesel

Als Philipp, der Vater Alexanders, eine starke Festung einnehmen wollte und die Späher ihm meldeten, dass es in jeder Hinsicht schwierig und die Festung uneinnehmbar sei, fragte er, ob es so schwierig sei, dass nicht einmal ein goldbeladener Esel hineinkommen könnte.


3. Je nachdem

Als der Redner Demosthenes (zu Phokion) sagte: "Die Athener werden dich umbringen, wenn sie in Wut geraten!", sagte Phokion: "Mich, wenn sie in Wut geraten - dich aber, wenn sie bei klarem Verstand sind!"


4. Bedenklich

Als Phokion einmal seine Meinung vor dem Volk vortrug und dabei Zustimmung fand und sah, wie viele gleichermaßen seine Rede wohlwollend aufnahmen, drehte er sich zu seinen Freunden um und sagte: "Ich habe doch wohl nicht unvermerkt etwas Schlechtes gesagt?"

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L 40: Eine schwere Entscheidung

Die Spartaner schickten Epikydidas zu Agesilaos. Als er ankam, berichtete er, wie die Dinge stünden und dass der Staat ihm - dem Agesilaos - auftrage, so schnell wie möglich der Heimat zu Hilfe zu eilen.
Als Agesilaos das hörte, nahm er es schwer auf, da er bedachte, welche Ehren und welche Hoffnungen ihm verloren gingen, doch er rief seine Bundesgenossen zusammen, verkündete, was ihm vom Staat mitgeteilt worden war, und sagte, dass es notwendig sei, der Heimat zu helfen.


Wünsche und Gebete

Briefschluss
Möge es dir gutgehen und mögest du immer solche Dinge schreiben.

Auf einem Weinkrug
Trinke und dürste nicht; mögest du leben!

Vernünftiger Wunsch
Möge mir nicht geschehen, was ich mir wünsche, sondern was gut für mich ist.

Beim Gelage
Wäre ich doch eine schöne Leier aus Elfenbein,
und schöne Knaben trügen mich zum dionysischen Tanz.

Den Nymphen geweiht
Den Nymphen ist dieses Denkmal geweiht: möge ihnen dieser Ort am Herzen liegen,
mögen sie Sorge tragen, dass im Brunnen nie versiegendes Wasser fließt.

Zuckerbrot statt Peitsche

Als Pharnabazos und Konon die Lakedaimonier besiegt hatten, ließen sie den Städten verkünden, dass sie keine Stützpunkte darin errichten und ihnen ihre Unabhängigkeit lassen würden. Konon hatte Pharnabazos nämlich erklärt, dass ihm durch dieses Vorgehen alle Städte freundlich gesinnt sein würden. Sollte es hingegen offenkundig werden, dass er sie versklaven wolle, so sagte er, werde jede einzelne Stadt imstande sein, eine Menge Schwierigkeiten zu bereiten, und es bestehe die Gefahr, dass auch die Griechen, wenn sie das bemerkten, rebellieren würden.

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L 41: Sokrates über seinen Prozess

Sokrates: Man wird über mich nämlich so urteilen, wie unter Kindern über einen Arzt geurteilt würde, wo der Ankläger ein Koch ist. Denn schau: Was kann ein solcher Mann wohl zu seiner Verteidigung vorbringen, in diesen Umständen, wenn jemand Anklage gegen ihn erhebt und sagt: "Ihr Kinder, viele schlimme Dinge hat dieser Mann euch angetan! Selbst die Jüngsten unter euch richtet er zugrunde durch Schneiden und Brennen und das Darreichen bitterer Tränke - so ganz anders, als wie ich selbst euch immer Mengen an Süßigkeiten aufgetischt habe!" - Was, glaubst du, kann der Arzt in dieser üblen Lage wohl sagen? Wenn er die Wahrheit sagt, nämlich: "Das alles, ihr Kinder, habe ich für eure Gesundheit getan", was, glaubst du, würden solche Richter wohl für ein Geschrei machen? Ein ziemlich großes, oder?
Kallikles: Wahrscheinlich; man muss es wohl annehmen.
Sokrates: Glaubst du also nicht, dass der Mann völlig ratlos sein wird, was er sagen soll?
Kallikles: Doch, durchaus.
Sokrates: Ich bin tatsächlich sicher, dass es auch mir wohl ganz genauso ginge, wenn ich vor Gericht gezogen würde.


Ein Redner in Verlegenheit

Nicht mit der Anklage zu beginnen, erscheint mir schwer bis unmöglich, ihr Herren Richter, sondern mit dem Reden wieder aufzuhören. Denn weder könnte ich mit Lügen schlimmere Anklagen vorbringen als die bereits vorliegenden, noch kann ich, da ich die Wahrheit sagen will, alles aufzählen.

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